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Renate Kühlcke, Chefredakteurin der Zeitschrift
"Fleischwirtschaft", im Gespräch mit Frank Roselieb,
Leiter des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung in Kiel
Ohne professionelles Krisenmanagement geht es auch in der Fleischbranche nicht mehr. Wie dieses idealerweise aussehen sollte, wollte die Fleischwirtschaft von Frank Roselieb wissen. Der Leiter des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung in Kiel war maßgeblich am Aufbau einer entsprechenden Struktur für die QS Qualität und Sicherheit GmbH beteiligt.
Fleischwirtschaft: Wie sollte idealerweise ein Unternehmen beim Aufbau eines firmeneigenen Krisenmanagements vorgehen?
Roselieb: Jede Krise verläuft anders und jedes Unternehmen ist ein Unikat. Ausgangspunkt für ein firmeneigenes Krisenmanagementsystem sollte daher stets ein unternehmensindividuelles Krisenaudit sein. Dabei ermittelt ein branchenkundiger, aber unternehmensfremder Dritter die besonderen Krisenpotenziale des Betriebs. An welchen speziellen Punkten im Schlacht- und Verarbeitungsprozess können beispielsweise Kontaminationen auftreten? Durch welche betrieblichen Besonderheiten wird die Rückverfolgbarkeit von Vorprodukten eingeschränkt - zum Beispiel aufgrund der Silolagerung von Gewürzen oder der fehlenden Etikettierung von gelagerten Verpackungsmaterialien?
In einem zweiten Schritt werden die vorhandenen Mechanismen zur Krisenvermeidung und Krisenbewältigung im Unternehmen systematisch erfasst. Das Spektrum reicht von bereits etablierten Vier-Augen-Regelungen bei wichtigen Produktions- und Entscheidungsprozessen über vorhandene Hinweise zum richtigen Verhalten bei Arbeitsunfällen und Erpressungsanrufen bis hin zu vorbereiteten Texten für Produktrückrufe oder Warensperrungen.
Auf Basis dieser Auditergebnisse wird schließlich in einem dritten Schritt ein individuell an die Bedürfnisse des Betriebs angepasstes Krisenmanagementsystem entwickelt, installiert und den Führungskräften in einem Krisentraining vertraut gemacht. Teil eines solchen Krisenmanagementsystems sind Mustertexte für Pressemitteilungen, Behörden- und Kundeninformationen genauso wie die Adressen wichtiger Kooperationspartner, externer Prüfinstitute, Lokal- und Fachjournalisten. Enthalten sind außerdem unternehmensindividuelle Ablaufpläne für verschiedene Krisenszenarien (z.B. Produkt-
kontamination, Brand in der Produktionshalle, Streik von Mitarbeitern, Probleme mit Lieferanten) sowie Zuständigkeits- und Vertretungsregelungen für den internen Krisenstab.
Fleischwirtschaft: Hat sich in den vergangenen Jahren die Qualität der Kommunikation im Krisenfall verändert?
Roselieb: Am Kieler Institut für Krisenforschung führen wir die deutsche Krisendatenbank - also die systematische Erfassung aller öffentlichen Krisenfälle auf deutschem Boden seit 1984. In den gut zwanzig Jahren seit Erhebungsbeginn ist der Anteil operativer Krisenfälle an allen Ereignissen im Agrar- und Ernährungsbereich kontinuierlich gesunken. Demgegenüber hat sich im gleichen Zeitraum der Anteil kommunikativer Krisenfälle mehr als verdoppelt. Anders formuliert: Während früher Brände in Schlachthöfen, schwere Arbeitsunfälle und großflächige Warensperrungen für Negativschlagzeilen sorgten, halten heute schon bloße Gerüchte über die angeblich illegale Beschäftigung von "Billiglöhnern" aus Osteuropa, vermeintlich tierquälende Schlachtmethoden oder vorgeblich "genverseuchte" Wurstwaren die Unternehmen in Atem.
Hinzu kommt, dass im Zeitalter des Internets Krisenkommunikation stets Kommunikation in Echtzeit ist. Die Unternehmen müssen also unmittelbar auf Gerüchte von Bürgerinitiativen oder nachteilige Behördenentscheidungen reagieren, wenn nicht Dritte die Meinungsführerschaft zu betrieblichen Themen übernehmen sollen. Für langatmige, interne Recherchen bleibt meist keine Zeit. Betriebe aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft gehen daher mehr und mehr dazu über, sich - zusätzlich zu Ad-hoc-Krisen - auch auf so genannte "schleichende Krisen" vorzubreiten. Zu diesem Zweck stellen Sie bereits in "Friedenszeiten" Sprachregelungen zu kritischen Themen wie Tiertransporten, Schlachtmethoden oder dem Einsatz GVO-haltiger Futtermittel zusammen. Diese Informationen ermöglichen im Ernstfall eine schnelle Reaktion auf berechtigte Anliegen oder haltlose Gerüchte Dritter.
Im Branchenvergleich hinkt die Agrar- und Ernährungswirtschaft in Sachen "Kommunikationsqualität" aber immer noch etwas hinterher. Die Ursache liegt meist in der Kommunikationspolitik vor der Krise. Einerseits sind die Veredelungsprozesse im Fleischbereich recht komplex und die begleitenden Qualitätskontrollen außerordentlich umfangreich. Andererseits wird den Verbrauchern in der Werbung immer noch das Bild von glücklichen Kühen auf grünen Wiesen vermittelt, die weder Futtermittel benötigen, noch einen Schlachthof zu sehen bekommen. In Krisenzeiten muss dann zunächst mit unverhältnismäßig hohem Kommunikationsaufwand das Routinegeschäft erklärt werden, bevor die eigentlichen Kriseninformationen folgen können. Das geht zwangsläufig zu Lasten der Qualität der Krisenkommunikation im Agrar- und Ernährungsbereich.
Fleischwirtschaft: Wo liegen die sich am häufigsten wiederholenden Fehler beim Managen einer Krise?
Roselieb: In der Vor-Krisen-Phase beobachten wir regelmäßig zwei Typen von Krisenmanagern unter den Geschäftsführern und Qualitätsbeauftragten. Der "Lassez-faire"-Typ ignoriert das Thema "Krise" komplett. Kommt er aus der Lebensmittelindustrie, so verweist er wahlweise auf die knappen finanziellen Mittel durch den hohen Margendruck des Handels oder argumentiert mit der Vielzahl bereits existenter Regelungen zu IFS und HACCP. Demgegenüber installiert der "Bürokrat" - als zweiter Typ - überall im Betrieb Frühwarnsensoren und schafft ein umfangreiches Meldesystem.
Im akuten Krisenfall versagen beide. Während der Ignorant viel zu lange benötigt, um eine Ad-hoc-Infrastruktur zur Krisenbewältigung aus dem Boden zu stampfen und die nötigen Daten zu recherchieren, ertrinkt der Bürokrat in Informationen und verheddert sich in viel zu langatmigen Entscheidungswegen. Richtig handelt demgegenüber der "krisenbewusste" Manager-Typ. Er schafft in "Friedenszeiten" eine Basisinfrastruktur für das operative und kommunikative Krisenmanagement, hält diese aber offen für notwendige Anpassungen und Ergänzungen im Zeitablauf.
Auch nach einer durchlebten Lebensmittelkrise machen Unternehmen der Fleischwirtschaft häufig den Fehler, zu schnell zum Routinegeschäft zurückkehren zu wollen. Weil das Vertrauen von Mitarbeitern, Verbrauchern und Marktpartnern nach angeblich fehlenden BSE-Tests in Schlachthöfen oder der vermeintlichem Umetikettierung von Fleischwaren im Handel aber auf eine harte Probe gestellt wurde, müssen diese Personengruppen erkennen können, wie der fleischverarbeitende Betrieb eine Wiederholung der kritischen Ereignisse möglichst ausschließen will.
Fleischwirtschaft: Wann empfiehlt es sich, einen so sensiblen Bereich wie das "Krisenmanagement" aus dem Unternehmen auszugliedern und einem Dienstleister zu übertragen?
Roselieb: Krisenmanagement gilt mithin nicht als Königs-, sondern als Kaiserdisziplin der Unternehmensführung. Mitarbeiter, Kunden und Marktpartner, aber auch Behördenvertreter und Investoren erwarten im Krisenfall völlig zu Recht, dass sich die Unternehmensleitung persönlich zu Wort meldet - und nicht eine externe PR-Agentur. Gleichwohl werden gerade endkundennahe Fleischverarbeitungsbetriebe im Krisenfall nicht selten von der Vielzahl an Anfragen Dritter überrollt. Deren zeitnahe Beantwortung können die Mitarbeiter des Unternehmens allein meist nicht mehr gewährleisten - zumal auch das Routinegeschäft weitergehen muss. Hier ist externe Hilfe durchaus angebracht.
Darüber hinaus fehlt vielen Geschäftsführern die Erfahrung im richtigen Umgang mit Krisensituationen. Externe Berater schützen außerdem - ähnlich wie bei den vorgelagerten Krisenaudits - vor Betriebsblindheit und können die eine oder andere Entscheidung - jenseits von Abteilungshierarchien und innerbetrieblichen Eitelkeiten - manchmal auch deutlich schneller durchsetzen. Eine Hintergrundberatung durch branchenerfahrene, externe Krisenmanager macht also in vielen Fällen durchaus Sinn. Voraussetzung ist aber immer, dass das Unternehmen stets mit eigener Stimme spricht und mit eigener Hand handelt.
Fleischwirtschaft: Können Sie sich vorstellen, dass Rückrufaktionen in der Lebensmittelbranche einmal genauso selbstverständlich werden wie beispielsweise in der Autoindustrie?
Roselieb: Das wäre höchst gefährlich. Wir beobachten seit einiger Zeit mit gewisser Sorge die stetige Zunahme der öffentlichen Produktrückrufe im Automobilbereich. Spätestens wenn Meldungen über öffentliche Produktrückrufe in der "Tagesschau" so selbstverständlich werden wie der Wetterbericht, dürfte die Aufmerksamkeit der Verbraucher deutlich nachlassen.
Auch das europäische Schnellwarnsystem im Lebens- und Futtermittelbereich (RASFF) scheint immer mehr das Gegenteil des Gewollten zu bewirken: Viele Brancheninsider kapitulieren bereits jetzt angesichts der Vielzahl an Warnmeldungen. Kommt eine wirklich wichtige Meldung, wird sie glatt übersenden - der Informationsüberflutung sei Dank. Sinnvoll wäre demgegenüber, die Meldungen auf die wirklich wichtigen zu beschränken und stärker zielgruppenspezifisch vorzuselektieren.
Agrarprodukte bleiben in der Verbraucherwahrnehmung weiterhin sogenannte "Low Involvement"-Produkte, die eher nebenbei gekauft werden. Autos gehören demgegenüber zu den "High Involvement"-Produkten, die deutlich teurer sind, seltener gekauft werden und eine umfangreiche Informationssammlung auslösen.
Dieser Beitrag wurde - mit freundlicher Genehmigung der Redaktion - der folgenden Veröffentlichung entnommen:
Interview des Monats: Die Kaiserdisziplin des Managements, Frank Roselieb, Leiter des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, über professionelles Krisenmanagement, in: Fleischwirtschaft, 85. Jahrgang (2005), Heft 4 (April), Seite 10 und 11 |
Frank Roselieb |
Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
8. Jahrgang (2005), Ausgabe 4 (April)
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Letzte Aktualisierung: Freitag, 15. November 2024
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